Erweiterung des Untersuchungsauftrages des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV (Kindesmissbrauch)

30. Januar 2020

Dr. Christian Blex » Landtag » 17. Wahlperiode » Anträge » Erweiterung des Untersuchungsauftrages des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV (Kindesmissbrauch)

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Erweiterung des Untersuchungsauftrages des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV (Kindesmissbrauch)

30. Januar 2020

I. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen stellt fest:

Nachdem der nordrhein-westfälische Landtag auf Antrag von 65 Abgeordneten der Fraktion der CDU, der Abgeordneten der Fraktion der SPD, von 26 Abgeordneten der Fraktion der FDP und der Abgeordneten der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 17/6660) am 26. Juni 2019 gemäß Artikel 41 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen zum Vorgehen der nordrhein-westfälischen Landesregierung sowie der Ermittlungsbehörden und Jugendämter im Fall des vielfachen sexualisierten Kindesmissbrauchs auf einem Campingplatz in Lügde einen Untersuchungsausschuss eingesetzt hatte, meldete der Westdeutsche Rundfunk am 14. Januar 2020, man hat aus Ermittlerkreisen erfahren können, dass es Verbindungen zu einem anderen großen Missbrauchskomplex gibt:

Im Rahmen einer der umfangreichsten Ermittlungen der Landesgeschichte ist die Polizei seit einigen Monaten und bis in die Gegenwart hinein bestrebt, die Strukturen eines großen Kindesmissbrauchsnetzwerks aufzuklären und dabei Taten, Opfer und Tatverdächtige zu identifizieren. Die Ermittlungen gegen dieses Netzwerk, in dem foto- und videografische Abbildungen sexuellen Missbrauchs hergestellt und über Landesgrenzen hinweg verbreitet worden sind, und innerhalb dessen sich verschiedene Tatverdächtige mutmaßlich auch zum Missbrauch verabredeten, nahmen ihren Ausgangspunkt im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach. Ein dort ansässiger Mann wird verdächtigt, ein Kind über einen längeren Zeitraum missbraucht und davon Aufnahmen angefertigt zu haben. Bislang sind bereits mehr als 50 Tatverdächtige ermittelt worden.

Ermittler berichten nunmehr aktuell von Erkenntnissen, wonach es Verbindungen zwischen diesem Komplex und dem Missbrauchskomplex in Lügde, der bereits zum Untersuchungsgegenstand des PUA IV geworden ist, gibt. Zunächst sollen zwei Familienangehörige des Verdächtigen aus Bergisch Gladbach über Jahre hinweg ebenfalls einen Stellplatz auf dem Campingplatz in Lügde gehabt haben. Der in der Vergangenheit wegen Kindesmissbrauchs verurteilte Großvater des Mannes aus Bergisch Gladbach hatte in den 80er und 90er Jahren einen Stellplatz im ostwestfälischen Lügde gepachtet. Ein Cousin des Mannes habe zwischen 2005 und 2009 dort einen Campingwagen genutzt, den er später an Andreas V., den verurteilten Haupttäter von Lügde, verkauft habe.

Darüber hinaus soll die Polizei bei dem Verdächtigen aus Bergisch Gladbach mutmaßlich kinderpornografisches Material sichergestellt haben, das in Lügde entstanden ist. Eine Verbindung oder ein Zusammenwirken der Täter beziehungsweise ein Zusammenhang der Missbrauchsfälle und der Tatkomplexe muss demnach als sehr wahrscheinlich gelten.

Das Vorliegen eines Zufalls wird auch von den ermittelnden Beamten als eher unwahrscheinlich angesehen.

Innenminister Herbert Reul sprach am Folgetag demgegenüber jedoch von „ungewöhnlichen Zufällen“. Die seit Anfang Dezember 2019 laufenden Ermittlungen des Polizeipräsidiums Bielefeld hätten lediglich Querverbindungen verwandtschaftlicher Art ergeben. Auch die Kölner und die Detmolder Staatsanwaltschaft sowie das Justizministerium verlautbaren, dass es keine Hinweise auf strafrechtlich relevante Zusammenhänge gebe.

Diese abweichenden Aussagen der anonym bleibenden Ermittler einerseits sowie von Staatsanwaltschaften und Landesregierung andererseits, lassen Anschlussfragen nach den Ursachen für diesen Dissens und die Glaubwürdigkeit der Darstellungen aufkommen.

Durch den eingesetzten Untersuchungsausschuss IV ist daher notwendigerweise ebenso aufzuklären, ob auch strafrechtlich relevante Verbindungen zwischen den Missbrauchskomplexen von Lügde und Bergisch Gladbach vorhanden sind, und ob in diesem Zusammenhang mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und Fehlverhalten der Behörden nachweisbar sind.

Es erscheint vor dem Hintergrund dieser aktuellen Entwicklungen dringend erforderlich, den Untersuchungsauftrag des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV um den vorstehend beschriebenen Themenkomplex zu erweitern.

II. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen beschließt:

Der Untersuchungsauftrag des mit Beschluss vom 26. Juni 2019 eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses IV (Kindesmissbrauch) (vgl. Drucksache 17/6660) wird um einen vierten Themenkomplex

„Verbindungen zwischen den Missbrauchskomplexen ‚Lügde‘ und ‚Bergisch-Gladbach'“

erweitert.

Der Themenkomplex steht nach neuesten Erkenntnissen womöglich in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem bestehenden Untersuchungsauftrag und soll bis zum Zeitpunkt des Beschlusses dieser Erweiterung des Untersuchungsauftrages untersucht werden. Die Erweiterung dient der objektiven Wahrheitsfindung und ist für die Vervollständigung der Sachaufklärung unter Berücksichtigung des Untersuchungsziels erforderlich. Wegen des möglichen Sachzusammenhangs ist die Aufklärung des einen Sachverhalts (Lügde) ohne die des Anderen (Bergisch Gladbach) nicht vollständig möglich. Die Aufklärung jedes einzelnen Sachverhalts trägt zur Aufklärung des anderen Missbrauchsfalles bei.

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss IV (Kindesmissbrauch) erhält den Auftrag, jedweden relevanten Zusammenhang zwischen den Missbrauchskomplexen von Lügde und Bergisch Gladbach zu ergründen und in diesem Zusammenhang mögliche Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und Fehlverhalten der Behörden aufzuklären. Dazu sind schwerpunktmäßig folgende Fragen zu klären:

  1. Lassen sich persönliche, berufliche und/oder kriminelle Beziehungen/Verbindungen zwischen dem in Bergisch Gladbach wohnhaften Tatverdächtigen des Missbrauchsnetzwerkes und einem oder mehreren verurteilten Tätern des Missbrauchskomplexes Lügde identifizieren?
  2. Lassen sich persönliche, berufliche und/oder kriminelle Beziehungen/Verbindungen zwischen dem Großvater des in Bergisch Gladbach wohnhaften Tatverdächtigen des Missbrauchsnetzwerkes und einem oder mehreren verurteilten Tätern des Missbrauchskomplexes Lügde identifizieren?
  3. Lassen sich persönliche, berufliche und/oder kriminelle Beziehungen/Verbindungen zwischen dem Cousin des in Bergisch Gladbach wohnhaften Tatverdächtigen des Missbrauchsnetzwerkes und einem oder mehreren verurteilten Tätern des Missbrauchskomplexes Lügde identifizieren?
  4. Lassen sich persönliche, berufliche und/oder kriminelle Beziehungen/Verbindungen zwischen Personen aus dem näheren Umfeld des in Bergisch Gladbach wohnhaften Tatverdächtigen des Missbrauchsnetzwerkes und einem oder mehreren verurteilten Tätern des Missbrauchskomplexes Lügde identifizieren?
  5. Lassen sich persönliche, berufliche und/oder kriminelle Beziehungen/Verbindungen zwischen weiteren Tatverdächtigen des Missbrauchskomplexes um den Mann aus Bergisch Gladbach und einem oder mehreren verurteilten Tätern des Missbrauchskomplexes Lügde identifizieren?
  6. War ein Täter beziehungsweise waren mehrere Täter des Missbrauchskomplexes Lügde selbst Teil des Missbrauchsnetzwerkes um den Tatverdächtigen aus Bergisch Gladbach?
  7. War ein oder waren mehrere Täter des Missbrauchsnetzwerkes um den Tatverdächtigen aus Bergisch Gladbach selbst als Täter oder, Mittäter, Gehilfe oder in anderer Form in den Missbrauchskomplex Lügde involviert?
  8. Welche Hinweise auf mögliche Verbindungen zwischen den beiden Missbrauchskomplexen erhielten die Ermittlungsbehörden wann, von wem und auf welchem Weg?
  9. Wie gingen die Ermittlungsbehörden mit diesen unter Ziffer 7. erfragten Hinweisen um?
  10. Lassen sich im Rahmen des behördlichen Umgangs mit möglichen Hinweisen auf Verbindungen zwischen den Missbrauchskomplexen etwaige Versäumnisse, Unterlassungen, Fehleinschätzungen und Fehlverhalten nachweisen?
  11. Wieso bewerten anonym bleibende Beamte mögliche (strafrechtlich relevante) Verbindungen gegenüber den Medien offenkundig anders als die Landesregierung?

Markus Wagner
Helmut Seifen
Gabriele Walger-Demolsky
Iris Dworeck-Danielowski
Sven Tritschler
Andreas Keith
Herbert Strotebeck
Dr. Martin Vincentz
Christian Loose
Nic Vogel
Roger Beckamp
Dr. Christian Blex
Thomas Röckemann


Antrag (Drucksache 17/8544)
Beratungsverlauf

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